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» Im Grunde sind es doch die Verbindungen mit den Menschen, welche dem Leben seinen Wert geben. «

W. v. Humboldt

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Alltagsbegleiter

Senioren- und Demenzbegleiter nach § 87 b, Abs. 3 SGB XI

besser bekannt unter der Bezeichnung Alltagsbegleiter in der Altenhilfe,  sind Frauen oder Männer, die über eine Umschulungs-/ Zusatzqualifizierungsmaßnahme, bestimmte Grundkenntnisse für den Umgang mit hilfebedürftigen Senioren erworben haben. Es handelt sich primär um eine Idee des Arbeitsministeriums und der Bundesagentur für Arbeit, mit dem Ziel  Langzeitarbeitssuchenden eine Perspektive zu geben und zugleich dem Personalmangel in der Pflege entgegen zu wirken. Diese 2008 ad hoc ins Leben gerufene Maßnahme stieß anfänglich auf großen Protest, vor allem bei den Berufsverbänden. Der Pflege-SHV hat dazu diese Stellungnahme abgegeben.

Nach fast drei Jahren Erfahrung mit Alltagsbegleitern, ist die Kritik weitgehend abgeklungen, zumal die meisten Einrichtungen und Pflegedienste positives zu berichten wissen. Die Mehrzahl der AlltagsbegleiterInnen ist in der Praxis gut angenommen und wird als Bereicherung erlebt. Auch umgekehrt, erleben viele der Alltagsbegleiterinnen ihre neue Aufgabe als eine Bereicherung, zumindest in menschlicher Hinsicht. Finanziell gesehen hält sich der Erfolg dieser Maßnahme jedoch in Grenzen. Denn überwiegend werden Alltagsbegleiter auf 400-Euro-Basis beschäftigt. Vollzeitstellen mit einem angemessenen Gehalt dürften die Ausnahme sein. In der Regel sind es ältere Personen, zwischen 40 und 60 Jahren, die auf diese Weise eine neue Aufgabe erhalten.

Helga G. aus Wuppertal, gehört mit zu den ersten, die diese Initiative wahrgenommen haben.

Zu ihrer Person:
Nach pädagogischem Studium und langjähriger Tätigkeit als Lehrerin, hat sie von 1988 bis 2005 als Verwaltungsangestellte in verschiedenen Bereichen gearbeitet. Im Herbst 2005 zog sie aus privaten Gründen nach Wuppertal, wo sie sich um eine  adäquate berufliche Aufgabe bemüht hat. Als sie 2008 von der Maßnahme hörte, hat sie sofort die Initiative ergriffen. Vom 1. März 2009 bis zum 31. März 2011 hatte Helga G. eine Vollzeitstelle als Alltagsbegleiterin in einer Pflegeeinrichtung. Ihre Bilanz fällt insgesamt positiv aus. Wenngleich es noch an vielen Stellen Nachbesserungsbedarf gebe. Eine Vollzeitstelle - 11 Tage hintereinander je 5,5 Stunden - hat sie leider dann auch an gesundheitliche Grenzen gebracht.

Erste Gedanken von Helga G.  nach zweijähriger Vollzeittägigkeit als Alltagsbegleiterin in einem Pflegeheim (März 2011)

Die Betreuungsarbeit ist eine sehr dankbare, auch erfüllende Tätigkeit, die voraussetzt, dass man mit klarem Verständnis für den jeweils anvertrauten Bewohner tätig ist und authentisch bleibt – sowie mit Humor und der Bereitschaft arbeiten kann, die die Vieldeutigkeit einer Situation annimmt und aushält. Das sollte u.a. bei der Auswahl der Bewerber berücksichtigt werden.

Wichtig ist das Sich-Einlassen auf die individuelle Situation eines Menschen und dessen  Tagesform – und damit verbunden, eine mehrfache Umstellung der eigenen Arbeits- und Vorgehensweise im Laufe eines Arbeitstages.

Die Gestaltung der Vorpraktika und der lehrgangsbegleitenden Praktika bieten dafür nicht immer genügend Raum. Tendenz: Unterschätzung der Tätigkeit.

Es geht um qualifizierte Zuwendung – nicht um oberflächliche Betreuung oder Beschäftigung, z.B. das "Absitzen" von Zeit durch bloßes Tun ohne Bezug zum betreffenden Bewohner (nach dem Motto: "Dieser merkt doch eh nix...Lesen Sie doch einfach mal was vor oder machen Sie ein Spiel mit dem Bewohner...")

Der "Vorteil" des pflegerischen Dienstes scheint zu sein: sich nicht (zwingend) intensiv individuell auf den Bewohner einlassen zu müssen bzw. zu können; es geht um eine vorgeschriebene Abfolge von Tätigkeiten und Handlungen in einem festgelegten Zeitrahmen.

Die Betreuung durch Zuwendung und Aktivierung erlaubt inhaltlichen und zeitlichen Spielraum, ist geradezu auf Beachtung der Individualität des Einzelnen angewiesen, um noch mögliche Momente von Nähe und Freude, von Verstehen und des Angenommen-Werdens zu nutzen oder zu schaffen – auch wenn diese schnell wieder in das Vergessen fallen können... Um das zu leisten, bedarf es einer längeren Zeit des Kennenlernens zwischen der Alltagsbegleiterin und dem jeweiligen Bewohner.

- Demenzkranke haben noch sehr lange die Fähigkeit zu empfinden, ob sie ein anderer Mensch respektiert und als gleichwertigen Partner anerkennt. Aber um diesen Zugang zu finden, bedarf es Geduld und manchmal auch Monate.

- Aus diesem Grund erscheint es wichtig, dass eine Einrichtung auf Kontinuität in der Betreuung bedacht ist, d.h. häufiger Wechsel der Bezugsperson (auch in der Pflege) sorgt nicht für Lebensqualität und Wohlbefinden, sondern ist Ausdruck der Missachtung und des Unverständnisses für den Demenzkranken.

- Die Intensität dieser Tätigkeit verlangt eine veränderte Regelung der Arbeitszeit: bei mindestens gleichem Lohn mit mehr Zeit für die Regeneration,- z. B. keine durchgehende Dienstzeit über 11 Tage, selbst 7 Tage "am Stück" auf Dauer scheinen zu überfordern. Neue Arbeitszeitmodelle sollten angedacht werden.

- Es ist Zeit erforderlich, um nach einer intensiven und anstrengenden Dienstzeit wieder in das "normale" Leben einzusteigen. Das kann z.B. eine gute Stunde sein, in der man sich auf Niemanden und Nichts einstellen muss, nicht zuhören, keine Antwort geben muss... Eine solch entsprechende Phase scheint zumindest erforderlich zu sein.

- Daraus meine Schlussfolgerung: tägliche Arbeitszeit: 5,5 Std plus 30 min Pause? Arbeitsrhythmus; jeweils im Wechsel 4 Tage Dienst mit 2 anschließenden freien Tagen? Utopie? Erfordernis in Zukunft?

Nicht klar scheint die generelle Zuständigkeit für Planungsaufgaben der "zusätzlichen Betreuung" zu sein: Pflege? oder Sozialer Dienst? (Ein Mitarbeiter für Betreuung ist nicht befugt, Aufgaben für die Betreuung festzulegen. Damit verbunden ist auch kein Zugriff auf das entsprechende Computerprogramm.)

Sehr viel scheint davon abhängig zu sein, welche personelle Situation in der Pflege herrscht und welche Akzeptanz für den Sozialen Dienst seitens der Einrichtungsleitung besteht. Während des Lehrganges 2009 wurde gesagt, dass die zusätzlichen Betreuer unter der Verantwortlichkeit der Pflege stehen würden. Auch während der Praktika. In der Praxis ist dies nicht eingetreten. Es erfolgte eine Angliederung an den Sozialen Dienst. Was sicher nicht das Problem ist bzw. wäre - wenn es eine feste Regelung dafür gäbe. Ich erlebte: Die Einen fühlen sich nicht zuständig, die Anderen überfordert ob des zusätzlichen Arbeitsaufwandes. Aber: die Aufgaben sind zu erledigen und somit existiert unterschwellig Frust zwischen den "Lagern", der so vor sich hin schwelt..." Notwendig wäre vielleicht ein regelmäßiges, geplantes Feedback seitens der PDL und mit dem Leiter der Einrichtung, um die Zuständigkeiten für alle Beteiligten sauber abzuklären. Zumal es immer wieder neue Aufgaben im Rahmen der Dokumentation gibt.

Die Akzeptanz der Pflegekräfte für Aufgaben der zusätzlichen Betreuung scheint gewachsen zu sein. Eine professionelle Zusammenarbeit zwischen den beiden "Sparten" wird nicht durch feste Strukturen gestützt, sie existiert in Ansätzen spontan auf persönlicher Initiative einzelner Mitarbeiter. Die Ursachen dafür sind sicher vielschichtig. Eine davon: das Stigma der Langzeitarbeitslosigkeit. Negativliste:"...die machen das doch nur, weil die das vom Arbeitsamt aus machen müssen...", "...damit verdient man auch noch Geld." Positivliste: Der Pflegealltag ist anstrengend, bietet keine Zeit, mal länger einem Kollegen über die Schulter zu schauen, insbesondere bei der Betreuung von Bettlägerigen. Diese findet meist „unter Ausschluss der Öffentlichkeit" statt und gibt natürlich Anlass zu vielen Spekulationen wie "Zeit absitzen"... Dabei wäre gerade in diesen Fällen ein Austausch mit dem zuständigen Pflege-Mitarbeiter wichtig. Glücklicherweise regelt sich mit der Zeit vieles über persönliche Kontakte, Anfragen etc. zwischen den Kollegen "im Vorbeigehen". Aber es wird eben nicht über feste Strukturen erreicht, z.B. innerhalb der Organisation eines Wohnbereiches oder des gesamten Hauses.

- Eine gute Zusammenarbeit existiert mit dem Sozialen Dienst – mit einer leichten Tendenz der Vereinnahmung für dessen Aufgaben…Was auf Verständnis stößt, aber auch die Kunst des „Nein-Sagens“ erforderlich macht, um die eigene Arbeit nicht zu vernachlässigen.

- Eine zielgerichtete Kommunikation mit der Pflege, die z.B. in die zeitnahe Planung von festen Betreuungsaufgaben und deren Neuausrichtung mündet, wenn sich z.B. gravierende Veränderungen bei einem Bewohner eingestellt haben, existiert in Ansätzen. Es ist z.B. üblich, dass der Mitarbeiter des Sozialen Dienstes wöchentlich einmal in die Schichtübergabe des Pflegedienstes geht, dort entsprechende Informationen bekommen kann, im Idealfall besprechen kann und danach die Pflegeplanung für die zusätzliche Betreuung anpasst, verändert etc.


Diese Gedanken lassen sich in der Empfehlung an die Einrichtung zusammenfassen, am Miteinander und den Schnittstellen zu arbeiten.  Das Organisationsprinzip dieser Einrichtung funktioniert gemäß der Haltung: Seht zu wie ihr zurecht kommt. Außerdem sollte der Dienstplan den Mitarbeitern mehr Zeit zur Regeneration einräumen, dadurch können Ausfälle durch Krankheit oder Leistungsmängel aufgrund von Burnout vermieden werden.

Eine Alltagsbegleiterin schilderte ihren ersten Praktikumseinsatz in einem Internetforum wie folgt:
Mein Praktikum hatte ich in einem Pflegeheim angefangen, was ich aber psychisch nicht geschafft habe. Ich "durfte" dort die Endstadien betreuen. Was im Grunde nur auf Essen anreichen bestand (füttern). Ich konnte dort gelernte Therapien wie Musiktherapie oder Validation nicht einsetzen, nicht einmal basale Stimulation war möglich, da sich die Bewohner nicht berühren ließen. Und für die Menschen, die "nur" dement waren, war in dem Heim nichts vorhanden, was ich hätte nutzen können. Hätte mir das ganze Betreuungskonzept selber aufbauen müssen. Was ja auch ok gewesen wäre, wenn das Heim dafür ein Budget zur Verfügung gestellt hätte...
Auch das ist immer noch Alltag in deutschen Pflegeheimen.